Dez 01 2019

Im Herzen des Wilden Kaisers

Geschrieben von um 17:17 unter Allgemein,News,Tourenberichte

Die Adventszeit hat begonnen und demnächst wir auch das neue Tourenprogramm 2020 wieder veröffentlicht. Vom 16.-19. Juli werde ich die Tour „Alpin unterwegs im Wilden Kaiser“ anbieten, für die ich jetzt schon ein wenig Werbung machen möchte. Details hierzu am Ende des Berichts. Vorab und zur Einstimmung mein Bericht vom „Im Herzen des Wilden Kaisers“, er handelt von vielen persönlichen Bergerlebnissen im Wilden Kaiser von 1984 – 2018. Er wurde dieses Jahr auch im Jubiläumsjahrbuch 100 Jahre PK (Pfälzer Kletterer) veröffentlicht. Viel Spaß beim Lesen und immer gut festhalten….

Blick hoch zur Steinernen Rinne (links davon der Predigtstuhl mit seiner Nordkante. Rechts die Fleischbank)

Halbwegs entspannt lummle ich mich in den harten Flughafen-Plastikstuhl in Mineralyne Vody, während ich warte bis die Zeit vergeht, und die „Boarding Time“ für meinen Rückflug nach Moskau beginnt.

Vor mir lagen noch 2,5 Tage Urlaubstage in Moskau, bevor es wieder zurück nach Deutschland ging. Eine Woche zuvor flog ich alleine in die Kaukasusregion, wo mich eine russische Mitarbeiterin von „Pilgrim Tours“ am Flughafen empfing. Gemeinsam mit einem Kanadier, einer Norwegerin und 9 Kroaten hatten wir ein gemeinsames Ziel, nämlich die Besteigung des 5.642 m hohen Elbrus.

Während ich nun auf meinen Rückflug warte studiere ich, viel intensiver als im Frühjahr noch, das „PK Jahrbuch“. Jetzt hatte ich endlich Zeit, viel Zeit! Tolle Berichte, Du solltest auch mal wieder was schreiben, dachte ich mir. Welches Thema?

Meine erfolgreiche Elbrusbesteigung im August 2018 mit Internationaler Gruppe, und geführt von dem russischen Bergführer Roman, hatte ich noch frisch im Kopf! Nach einiger Zeit verwarf ich den Gedanken aber wieder. Trotz einiger Bedenken, ich war länger nicht mehr in dieser Höhe unterwegs, hatte ich die Höhe gut vertragen, war konditionell gut vorbereitet und als es darauf ankam wurde auch das Wetter besser. Aber nein, ich wollte keinen Bericht machen über eintöniges Steigen inmitten von Bergsteigermassen aus vielen Nationen, die in einer langen Linie die eisigen Gletscherhänge des Elbrus hochstiegen. Schneestapferei…! Nein, darüber wollte ich nicht schreiben.

Aber warum nicht mal über einen Bericht über mein Lieblingsgebirge machen, kam es mir in den Sinn. Deshalb nun hier, mein Bericht vom Klettern im „Herzen des Wilden Kaisers“:

Das erste Mal kam ich 1984 in den Wilden Kaiser. Moralisch gefestigt durch viele gekletterte Pfalz-Klassiker waren wir auch bereit für Touren aus Walter Pauses „Im schweren Fels“. Wenn man von der Griesner Alm Richtung Stripsenjochhaus geht wird nach ca. 30 Minuten der Blick nach links oben frei in die Steinerne Rinne. Beeindruckend wie rechts und links der schmalen Rinne Felswände senkrecht in die Höhe ragen. Links der Predigtstuhl, dahinter die Goinger Halt, rechts die Fleischbank, dahinter Christaturm und Karlspitze. Dieser Bereich bildet, nicht nur für mich, zusammen mit den Felsmassiven um das Stripsenjochhaus (Totenkirchl) und Gruttenhütte (Ellmauer Halt, Karlspitze, Bauernpredigtstuhl, etc.) das Herz des Wilden Kaisers.
Kaiserwetter hatten wir leider nicht, aber zum Glück war das Unwetter, dass am Vortag mit vielen Regenfällen und Hagel wütete, abgezogen. Wolken hingen noch in den Wänden, die Gefahr dass es wieder zu regnen anfing war gegeben. Aber wenn wir schon mal hier sind wollten wir es auch zumindest probieren.

Mit dabei waren 3 weitere PK´ler, mein Vater Herbert Mühe, Georg Waggershauser und Stefan Heintz. Wir standen am Einstieg der berühmten Fleischbank Ostwand, unser Ziel war die klassische Dülferführe (V+/ AO). 300 m Wandhöhe und 500 Klettermeter im feinsten alpinen Kalkfels lag vor uns. Vorfreude, Respekt und Anspannung hielten sich die Waage, als ich den sicheren Boden verlies und die erste Seillänge anging. Zunächst ein langer Quergang, bevor es in einigen langen Kaminreihen stetig aufwärts ging. Vater Herbert stieg nach. Ihm machte die prächtige Kletterei ebenso viel Spaß wie der nachfolgenden Seilschaft mit Georg und Stefan. Der berühmte Seilquerung wurde gut gemeistert, ebenso die Plattenzone. Abschließend dann die schweren Ausstiegsrisse, dann war es geschafft. Nach 16 Seillängen Kletterei hatten wir die Fleischbank Ostwand durchstiegen. Freude am Gipfel, auch wenn die Sicht bescheiden war, und ein „Berg Heil“, bevor es wieder abwärts ging. Unser Respekt galt auch dem großen Hans Dülfer, der die Tour 1912 erstbestieg!

  

Mein Vater Herbert Mühe in der Fleischbank Ostwand (links) / Die Steinerne Rinne (mitte)  Georg, Herbert und Stefan am Gipfel (rechts)

Abends am Stripsenjochhaus stießen wir auf die tolle Tour an. Georg und ich waren noch motiviert, so beschlossen wir zu Zweit am nächsten Tag noch eine Tour auf den Predigtstuhl über seine schöne Nordkante anzuhängen. Mit einer Wandhöhe von 400 m und einer Kletterlänge von ca. 750 m ist sie noch länger als die Fleischbank Ostwand, wenn auch etwas leichter.

Der Predigtstuhl ist ein mächtiges, dreigipfeliges Felsmassiv, der Blick vom Stripsenjochhaus auf seine steil abbrechende Nordkante zierte schon viele Titelbilder von Bergkalendern. Über eine brüchige Felsrinne stiegen wir seilfrei zum Einstieg. Ab hier ging es dann in wechselnder Führung nach oben. Eine schöne, recht lange Kletterei mit einer nicht immer einfachen Wegführung. Unterhalb eines Doppelrisses war ich wieder mit dem Führen an der Reihe. Georg sicherte mich einen Kamin hoch. Nach einigen Metern klinkte ich einen Karabiner in den Haken. Bisher lief alles problemlos. Danach teilte sich der Riss in einen rechten und einen linken Ast, die auch ziemlich oben gegen Ende der Seillänge wieder zusammenführten. Einen kurzen Moment zögerte ich, rechts oder links? Ich entschied mich dem linken Riss zu folgen. Ein fataler Fehler! Die ersten Meter gingen gut, dann wurde das Gelände jedoch immer schwieriger. Mit IV oder IV+ hatte das nun nichts mehr zu tun! Ich war im falschen Riss, das war mir nun klar, aber es schien mir trotzdem machbar. Also stieg ich weiter. Das Gelände war senkrecht, oben auch abdrängend, mein Ziel, der nächste Standhaken war nur noch ca. 5 Meter über mir. Seit dem geklickten Zwischenhaken konnte ich nur noch 2 sehr kleine Rock Klemmkeile moralischer Art anbringen, mehr gab das Gelände nicht her. Vielleicht hätte ein großer Friend weitergeholfen, aber die gab es damals noch nicht. Beherzt zugreifend ging ich die letzten 5 Meter vor dem Absatz mit dem Standhaken an. Ich umschloss die abdrängende Hangelschuppe die steil nach oben führte fest mit beiden Händen, die Füße voll auf Gegendruck an den Fels gepresst. Nur noch 3 Meter piazen, doch dann passierte es…..
Plötzlich und unvermittelt brach die Felsschuppe an der ich mich festhielt mit einem dumpfen Ton ab! In einem hohem Bogen flog ich unvermittelt und unvorbereitet aus der Wand! In der Luft drehte es mich und ich fiel kopfüber nach unten. Ich war angespannt, aber trotzdem innerlich erstaunlich ruhig als ich mit ziemlicher Geschwindigkeit auf den Fuß der Steinernen Rinne zuflog. Zwei mal kupfte es kurz an meinem Klettergurt. Scheiße, dass waren die zwei kleinen, herausgerissenen Rocks, dachte ich mir. Ganz rational, zwar mit Sorge, aber ohne Panik lag meine Hoffnung nun auf dem einzigen eingehängten Mauerhaken weiter unten.
Kurze Augenblicke später spüre ich einen kräftigen Ruck, der mich auch von Kopfüber wieder in die Normallage brachte. Mit großer Wucht wurde ich nun voll gegen die Wand geschleudert. Es blieb keine mehr Zeit die schützenden Hände vor das Gesicht zu legen. Mein Helm dämpfte den Aufprall etwas, verhinderte aber nicht, dass ich mir voll die Stirn anschlug! Glück für mich, dass die Seillänge absolut senkrecht war und ich nicht an irgend-welchen Felsvorsprüngen aufschlug. Der Zwischenhaken hatte gehalten! Ich hing wie ein nasser Sack nur noch wenig über Georg, der sich besorgt nach mir erkundigte. Der 20 Meter Sturz war heftig! Seine Frage ob ich verletzt sei konnte ich ihm nicht gleich eindeutig beantworten, ich musste mich erstmal wieder sortieren. Als die abgebrochene Felsschuppe irgendwo aufschlug schrie ein anderer Bergsteiger von weit unten, ohne uns zu sehen: „Könnt ihr nicht aufpassen…!“. Sorry nachträglich, unbekannter Bergsteiger. Der Sturz und der dadurch ausgelöste Steinschlag waren bestimmt keine Absicht!
Ich hatte Glück im Unglück. Eine große Platzwunde an der Stirn, eine angeschlagene Nase, Abschürfungen an den Armen und leichte Prellungen.
Georg lies mich vollendst zu sich an den Stand ab. „Tue mir einen Gefallen und steige Du weiter vor“, sagte ich mit wackeligen Knien. Das tat er dann auch. Er stieg über den richtigen, viel leichteren, rechten Kaminast, ich folgte ihm dann noch leicht angeschlagen. Zunehmend wurde ich wieder stabiler, so dass ich dann auch die letzten 1 – 2 Seillängen vorm Gipfel vorsteigen wollte. Für meine Psyche war dies wichtig, auch wenn es sicher 2 Jahre dauerte, bis ich meine alte Vorstiegssicherheit wiederfand. Mit zittrigen Händen Eintrag ins Gipfelbuch. Hoppla, das war heftig!
Vorm Abseilen standen wir aber zunächst vor dem nächsten Problem. Mein Anseilknoten hatte sich vom Sturz so festgezogen, dass er zunächst nicht aufgehen wollte. Mindestens eine viertel Stunde haben Georg und ich ihn bearbeiten müssen bevor er sich lösen lies!
Zum Glück hat der, damals noch übliche, einfache Bulinknoten so gut gehalten. Danke auch an meinen Schutzengel! Das war dann auch bis heute mein einziger Sturz im alpinen Gelände.

 

Der Predigtstuhl mit seiner markanten Nordkante. Rechts: mit angeschlagener Stirn im Oppelband, ca. 1 Std. nach dem Sturz

Das nächste Mal zog es mich 1986 in den Wilden Kaiser. Seit einem Jahr wohnte ich in München, dass war ausgesprochen geschickt, denn die Berge, vor allem die Ostalpen sind nun beträchtlich näher für mich gerückt. Mit meinem Münchner Bergfreund Peter kletterten wir die Hintere Goinger Halt, über den Nordgrat. Eine schöne, leichte Genusskletterei. Im gleichen Jahr folgten noch weitere alpinere Touren, u. a. der Salbitschijn Südgrat wieder mit Georg. Das Sturzerlebniss von vor 2 Jahren war nun endgültig verarbeitet.

Auch 1987 waren wieder Kaisertouren angesagt. Mit dem Herxheimer Martin Appel war ich bereits ein Jahr zuvor durch die Watzmann Ostwand gestiegen, nun waren wir im westlichen Kaiser unterwegs, im Bereich der Kaindlhütte. Uns gelangen schöne, mittelschwere Touren in der Scheffauer Nordwand und in der Zettenkaiser Ostwand. Uns es bleib auch genügend Zeit um bei Kaiserwetter das wohlverdiente Weizenbier auf der Hüttenterrasse zu genießen.

 

Links: Martin in der Zettenkaiser Ostwand Rechts: Brotzeit geteilt mit Bergdolen auf dem Scheffauer

Am 28. Oktober 1989 hatte ich eigentlich gar nicht geplant klettern zu gehen. Als ich frühmorgens meine Münchner Wohnung verlies hatte ich zwar meinen fertig gepackten Kletterrucksack mit Seil dabei, wollte aber nur eine kleine Konditionstour mit Gepäck unternehmen. Denn in wenigen Tagen würde ich mit Georg nach Nepal fliegen und sehr schöne Trekkingtage im Everestgebiet erleben. So fuhr ich deshalb in den Kaiser nach Ellmau und parkte mein Auto bei der Wochenbrunneralm. Über die Gaudeamushütte stieg ich bis kurz vor das Ellmauer Tor auf. Von hier wollte ich eigentlich nur ein kurzes Stück die Steinerne Rinne hinunter und auf einem unschwierigen Bergweg auf die Vordere Goinger Halt aufsteigen. Doch dann kam alles anders!

Aus der Südostwand der Vorderen Karlspitze kamen Hilferufe und ein alpines Notsignal. Nachdem ich mich kurz mit anderen Bergwanderern verständigt hatte stieg ich in wenigen Minuten zum Einstieg der Route im Kübelkar. Ein Wanderer stieg ab zur Gaudeamushütte und alamierte die Bergwacht, Handys hatte man ja damals noch nicht. Am Einstieg zur Route machte ich eine überraschende Entdeckung. Dort saßen 4 Bergsteiger seelenruhig und machten Brotzeit. Ob sie die Hilferufe nicht gehört hätten, fragte ich. Doch, sie waren gerade in der 1. Seillänge, als Steinschlag von oben kam und sie fast zeitgleich die Rufe hörten. Da sie jedoch nun Bammel bekamen stiegen sie wieder zum Einstieg ab und machten erstmals Brotzeit! Ich konnte es nicht glauben und fragte ob irgendjemand von den Vieren bereit wäre mit mir in die Wand zu den Verunglückten zu steigen, ich bot mich auch an vorzusteigen. Ein Kletterer namens Helmut erbarmte sich schließlich und stieg mit mir in die IVer Route ein. Anfangs kamen wir schnell in dem nicht immer zuverlässigen Fels vorwärts, dann hörten wir wie sich der Hubschrauber der Bergwacht der Wand näherte. Je näher er kam, desto größer wurde der Steinschlag von oben. Minutenlang versuchten wir uns möglichst tief in dem engen Kamin zu verstecken um nicht von den Geschossen von oben getroffen zu werden. Als der Hubschrauber (der einen Retter mit Seilwinde abgesetzt hatte) abdrehte, kletterten wir schnell weiter bis wir schließlich die verunfallte Seilschaft erreichten. Der Vorsteiger war abgestürzt als ihm ein Griff ausbrach. Beim Sturz auf ein Band brach er sich ein Bein. Ein bisschen konnten wir bei der Versorgung noch mithelfen, bis der Heli kam. Die Bergung war sehr spannend und nicht ungefährlich, da sich der Hubschrauber nur zentimeterweise der Wand nähern konnte, wegen dem geringen Abstand der Rotorblätter zur Felswand. Er versetzte die Longline so stark in Schwingungen bis wir sie schließlich erreichen konnten. Dann flog er die Verunfallten aus. Wir brachen die Tour hier ab und kletterten und seilten zum Einstieg zurück ab.

Hinter der Fleischbank steht der Christaturm. Die sogenannte „Christakante“ (SO-Kante) ist eine sehr beliebte Klettertour im 5. Grad (V/ AO, frei VI+). Weil sie so schön war, war sie gleich 2 x mein Ziel, 1990 und 1992. Allerdings war die Schlüsselstelle 10 m unterm Gipfel schon damals extrem abgeschmiert und glattpoliert. Wie sieht es wohl heute aus?

 

Christaturm mit SO-Kante „Christakante“ Oberer Teil der Fleischbank vom Christaturm

Bei der Aufzählung der schönsten Kaisergipfel darf natürlich auch das Totenkirchl nicht fehlen. An diesem mächtigen Felsklotz, der sich besonders schön bei der Hüttenterrasse des Stripsenjochhauses bei einem kühlen Bier studieren lässt, legten wir im Juli 1990 Hand an. Ein Tag nach der Christakante standen Gaby, Thomas und ich am Einstieg zum Heroldweg. In schöner, leichter Kletterei (III+) gewannen wir an rasch an Höhe. Reiner Genuss bei Kaiserwetter. Nach verdienter Gipfelpause hieß es beim Abstieg über den Führerweg (Normalweg, III) nochmal aufpassen. Nicht die reinen Kletterschwierigkeiten sind hier das Problem, sondern in dem riesigen Felslabyrinth immer die richtige Orientierung zu behalten.
Aber auch das gelang.

    

Bilder Totenkirchl Heroldweg / rechts: Thomas in Aktion, weit unten das Stripsenjochhaus. Thomas + Michael am Gipfel

Sieben Jahre nach meinem oben geschilderten Sturz war ich im September 1990 mit meinem Lingenfelder Kletterfreund Ulrich wieder am Predigtstuhl unterwegs. Wir waren etwas spät dran, deshalb sollte es eine kürzere und leichtere Kletterei werden. Zumal die Tage im September schon spürbar kürzer werden. Die Dülferführe der Predigtstuhl Westwand (IV+) hatten wir im Sinn. Anfangs ging alles glatt, im unteren Teil der Westschlucht. Zunehmend erschwerte jedoch Nebel die Orientierung, so dass ich weiter oben einem Verhauer folgte. In welcher Route ich genau war, weiß ich bis heute nicht. Vermutlich war es die Haslacher Beringerroute (V+/ VI- A0).
Augen zu und durch, dachte ich mir. Kinderfasching war das nicht, aber durchaus machbar! In anstrengender Kaminkletterei ging es hoch. Konzentriert packte ich die Schlüsselseillänge an. Schon etwas ausgepumpt komme ich an dem kleingriffigen, abdrängenden Überhang an. Mit rechts umschließe ich eine kleinen Schuppe kräftig, während ich mit links versuchte mein unter mir hängendes Seil hochzuziehen, um es in die bereits eingeklinkten Sicherung über meinem Kopf einzuhängen. Doch das Seil bewegte sich keinen Millimeter, während meine Arme immer dicker wurden. „Seeiiill!“, brüllte ich nun laut nach unten! „Numme langsam“, war die leicht genervte Reaktion von Uli. Das war in diesem Moment sicher die ganz falsche Antwort, und als ich wieder Luft hatte teilte ich ihm das dann auch mit! Augenblicke später gab das Seil endlich nach und ich konnte es im letzten Moment einhängen. „Zu“! Erst mal meine dick gewordenen Arme ausschütteln. Das war knapp! „Entschuldigung“, kam es kleinlaut von Uli. Das war die Schlüsselstelle. Wenig später war der Weg nach oben endgültig frei. Am Gipfel nicht lange aufhalten, wir hatten schon genügend Zeit verloren. Konzentriert bleiben auch beim Abstieg durch die Angermannrinne! Gerade rechtzeitig bevor es dunkel wurde kamen wir unten an.

Mein Münchner Ausgangspunkt war echt spitze, noch im gleichem Monat war ich wieder im Kaiser unterwegs. Margarethe, hieß meine hübsche Begleitung am Bauernpredigtstuhl, am linken oberen Ende der Steinernen Rinne. Die Kletterei durch die Alte Westwand (VI- A0) war herrlich! Auch an den schweren Stellen versuchte ich es möglichst leicht und locker aussehen zu lassen, schließlich wollte ich nicht nur beim Klettern eine gute Figur abgeben!
Und wir sahen schon unsere nächste Tour…

 

Mit Margarethe am Bauernpredigtstuhl

Nur knapp 2 Wochen später, am 12.10.1991 musste ich dann am gleichen Berg eine unliebsame Überraschung erleben! Die Südwestkante (Rittlerkante V/ A0), gilt als schöne und interessante Wand-, Riss- und Kaminkletterei. In der dritten Seillänge war ein überhängender Riss die Schlüsselstelle der Tour. Kurz unterhalb traute ich meinen Augen nicht. Die 2 Haken der (historischen) A0-Stelle waren frisch abgesägt! Frei (VII) traute ich mich nicht hoch, deshalb stieg ich vorsichtig  wieder zum Stand ab. (Frei nach Paul Preuss, wo man hochkommt muss man auch wieder herrunterklettern können…). Hier brachen wir die Tour dann ab, opferten ein paar Schlingen, und seilten uns zum Einstieg zurück. Welch ein gefährlicher Unfug, der Hakenkrieg im Wilden Kaiser in den 1980er und 90er Jahren!

Im Mai 1992, also schon früh in der Saison stiegen wir wieder die Steinerne Rinne hoch. Unter der Fleischbank am Einstieg der Südostwand packten wir unser Seil aus. Die Wiesner/ Rossi Route ist ein alter Klassiker. Elf Seillängen, fast durchgängig V+ lagen vor uns. Besonders der Rossi-Überhang und ein auf 8 m überhängender Riss in der 9. Seillänge erforderte einiges an Armkraft. Insgesamt tolles Erlebnis. Wie herrlich doch die kühlen Bier und die Brotzeit nach so einer Tour schmecken!

Blick vom Predigtstuhlgipfel: links (im Hintergrund) die Ellmauer Halt, links die Karlspitze, Bildmitte vor der Scharte: Christaturm, rechts die Fleischbank

Dass wir in Aufstieg über den langen, aber nicht sehr schwierigen Kopftörlgrat auf die Ellmauer Halt ca. 45 Minuten unterhalb des Gipfels, ohne Not, abgebrochen haben wurmt mich bis heute. Das kam so: Wir waren zu Dritt unterwegs, dabei auch meine neue, im Badischen Lahr wohnende Freundin. Die Kletterei war sehr schön, aber auch lang. Die Gratlänge beträgt annähert 1 Km, die Kletterlänge ist durch das ständige Auf und Ab über die vielen Grattürme aber erheblich länger. Das Meiste war bereits geschafft, als Gerlinde zwischen Leuchsturm und Kapuzinerturm den Schrifthinweis „Notabstieg“ am Fels entdeckte. Plötzlich war die Motivation bei meinen Seilpartnern weg, jetzt wollten sie auch runter. Meinen Hinweise über den nahen Gipfel (2 Türme waren noch zu erklettern), und den einfachen Abstieg über den „Gamsänger“-Klettersteig, den ich übrigens 1 Jahr später mit einem Münchner Bergfreund beging, wollten sie nicht hören. Ich hatte keine Wahl, 2:1 gegen mich! Dieser Notabstieg war dann schließlich alles andere als einfach und so nahm es auch noch viel Zeit in Anspruch bis wir die verdienten Kaltgetränke auf der Gruttenhütte genießen konnten. Der Weiterweg über die fehlenden 2 Felstürme zum Gipfel und der sichere Abstieg über den Normalweg wäre sicher die wesentlich bessere Variante gewesen! Das ich mit meiner Ahnung recht hatte war ein schwacher Trost für mich. So ist die Tour nach wie vor noch in meinem Kopf in der „To Do Liste“. Aber man braucht ja auch noch offene Ziele!

Mitte der 1980er bis Ende der 1990er Jahre war sicher meine aktivste und beste Zeit als Kletterer und Tourengeher. Oft war ich in den Bergen unterwegs, so dass ich viele Bergtouren der Ost- und Westalpen in mein Tourenbuch schreiben konnte.

Meine Touren im Wilden Kaiser wurden seltener, dass lag aber hauptsächlich daran, dass ich 1992 vom schönen München ins Badische Lahr zog. 1995, 1997 und 2002 kamen dann unsere Kinder Maximilian, Florian und Marlene auf die Welt und mit ihnen auch andere Schwerpunkte und Verpflichtungen. So kam ich erst im Jahr 2000 wieder in den Wilden Kaiser, mit Gerlinde kletterte ich auf die Fleischbank über seinen Nordgrat (III).

Fleischbankgipfel im Jahr 2000

Für die DAV Sektion Lahr im Schwarzwald führte ich inzwischen Touren. Im Rahmen meiner Fachübungsleiter Ausbildung kam ich im August 2003 wieder in den Kaiser. 2 Monate zuvor hatte ich den Grundlehrgang Alpin auf der Blaueishütte in den Berchtesgadener Alpen absolviert, nun stand mit dem Aufbaulehrgang Teil I, eine Woche Klettern im Stützpunkt Stripsenjochhaus auf dem Programm. Am Sockel des Totenkirchls kletterten wir uns zunächst in der Wildangerwand ein. Die „Ruaß-Connection“, eine 4 Seillängen Tour im VI. Grad war das Auftaktprogramm, bevor wir später diverse Bergrettungen übten. Besonders des Abseilen, mit einem „Verletzten“ 90 kg Mann auf dem Rücken blieb mir als besonders anstrengend in Erinnerung. Am 27.08.2003 wurden wir vor die Wahl gestellt. Mit schweren Bergschuhen einen alpinen IVer Klettern oder einen Ver mit Schuhen nach Wahl. Mit Sportkletterschuhen kletterten wir schließlich die relativ neu eingerichtete 15 Seillängen Route „Via Classica“ (V) auf die Fleischbank. Eine alpine, aber schöne neue Route! Nach Ostwand (Dülferroute), Südostwand (Wiesner/ Rossi) und Nordgrat, war die Via Classica bereits meine 4. Route auf die Fleischbank! Der Abstieg sollte nicht, wie üblich, über die Abseilpiste in die Steinerne Rinne gehen, sondern wir sollten über den langen Nordgrat abklettern. Also nochmal stundenlang konzentriert bleiben, hieß es jetzt!
Unsere 2. Prüfungstour war am nächsten Tag schließlich der Stöger-Geschwendtner Kamin am Totenkirchl. Unter den prüfenden Augen unseres bekannten Bergführers und früheren DAV-Expeditionskaderausbilders Jan Mersch kletterten wir die selten begannene und teilweise ganz schön brüchige Route. War eine sehr tolle Kletterwoche!
Im Juli 2004 konnte ich mit dem Aufbaulehrgang II auch den „Eisteil“ der Hochtourenführerausbildung erfolgreich abschließen. Das waren 10 äußerst intensive und anstrengende Tage, auch mental. Von unserem Stützpunkt, dem Taschachhaus im Ötztal unternahmen wir täglichen Hochtouren mit Ausbildungseinheiten. Aber Halt, ich schweife ab, zurück zum Kaiser….

Nun folgte eine lange Pause. Erst 2016 kam ich im Rahmen der Fachübungsleiter-Fortbildung „Leiten von Klettergruppen im Alpingelände“ wieder in den „Herzen des Wilden Kaisers“. Wieder mal der Predigtstuhl, den wir über seine Westkante (V-) erkletterten. Es war bereits Oktober, aber meine erste Klettertour in diesem Jahr! Im Sommer hatte ich nur eine Hochtour und ein paar Dolomitenklettersteige unternommen. Ganz schön anstrengend, dachte ich mir in der Ver Tour. Das ist dir vor ein Jahren auch noch leichter gefallen…. Vom Gipfel seilten wir ab bis zur Predigtstuhlscharte.

 

Gleich gehts hoch – über uns die Predigtstuhl Westkante

Von dort haben wir gleich noch den Nordgrat der Hinteren Goinger Halt angehängt. Eine schöne Genusskletterei im 3. Grad, den ich nach 30 Jahren nun mal wieder beging.

 

Genusskletterei in der Hinteren Goinger Halt Predigtstuhl + Hintere Goinger Halt von der Karlspitze

Beim Schreiben dieses Berichtes kamen bei mir viele Erinnerungen wieder hoch, auch von leichteren Touren, wie die Ackerlspitze, Maukspitze oder Hackenköpfe wo ich letztes Jahr mit Ulrich seilfrei unterwegs war.
Mit zunehmendem Alter und abnehmendem Training werden zwangsläufig meine Touren zukünftig leichter werden. Dennoch hoffe ich, dass ich noch lange Bergmässig unterwegs sein kann in meinem Lieblingsgebirge, sei es bei Genussklettereien, auf Klettersteigen oder einfachen Wanderungen. Viele dieser vorgestellten Touren sind für den interessierten Alpinkletterer ausdrücklich empfohlen. Auch für die extremeren (PK) Kletterer, die jenseits des VI. Grades unterwegs sind gibt es dort eine große Spielwiese! Viel Spaß und Erfolg beim Nachklettern und immer gut festhalten!

Michael Mühe (FÜL Hochtouren)

 

Vielleicht möchte ja ein alpin erfahrener Kletterer aus der Sektion auch mal den Kalkfels vom Wilden Kaiser kennenlernen. Wie angekündigt hier noch ein paar Infos zu meiner AV-Tour 2020 „Alpin unterwegs im Wilden Kaiser“ (Klettern – Klettersteig – Wandern)                              vom 16. – 19. Juli 2020.

Voraussetzungen: Trittsicher und schwindelfrei unterwegs auf langen, alpinen Touren (IV Grad im Fels, davon Ier und IIer Stellen auch seilfrei) /        C auf Klettersteigen). Gute Kondition.

1. Tag:
Fahrt ins Kaiserbachtal zur Griesneralm (988 m) + Aufstieg über das Stripsenjochhaus (1577 m) zum Hans-Berger-Haus (936 m) /               Wanderung ca. 2 Std.

2. Tag: „Kaiserschützensteig“ (B/C und I+) Über die Kleine Halt (2115 m) und die Gamshalt (2292 m) zur Ellmauer Halt (2344 m), dem höchsten Kaisergipfel. Lange Tour, gute Kondition nötig! (1400 HM. Ca. 8 Std. Aufstieg). Der Abstieg erfolgt über den „Gamsängersteig“ (B/C) in ca. 1,5 Std. zur Gruttenhütte (1620 m).

3. Tag: Vordere Karlspitze SO-Grat, III+ 2260 m Schöner, leichter, alpiner Klassiker. Über den „Jubiläumssteig“ in 45 Min. zum Einstieg. Dann in 15 SL (480 HM, 800 Klettermeter) zum Gipfel. Klettern in 2 selbständigen Seilschaften! Seilfreier Abstieg über den Normalweg (I, Stellen II, z. T. ausgesetzt) in 1 Std. zum Ellmauer Tor. Von dort einfach über den Jubiläumssteig zurück zur Hütte.

4. Tag: Hinein ins Herz vom Wilden Kaiser! Aufstieg zum Ellmauer Tor (ggf. Abstecher zur Hinteren Goinger Halt, 2192 m möglich, einfach) und jenseits durch die eindrucksvolle Steinerne Rinne (A/B) absteigen zur Griesneralm. Mittagessen + Heimfahrt.

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